Die bisherigen Maßnahmen gegen das Coronavirus haben in diesem Herbst noch nirgendwo ausgereicht/ Überlastung des Gesundheitswesens und hunderte von Toten pro Tag eher wahrscheinlich als ausgeschlossen / Wir werden im Frühjahr wahrscheinlich zig Millionen Deutsche impfen können

In vielen europäischen Ländern ist das Coronavirus außer Kontrolle. In Belgien, den Niederlanden, Tschechien und Spanien sind die Gesundheitssysteme schon überlastet und die Zahlen steigen in praktisch allen EU-Ländern trotz Einschränkungen weiter an. Peter Liese beobachtet das Infektionsgeschehen sehr intensiv: „Natürlich ist es falsch, in Panik zu verfallen. Wir müssen einen klaren Kopf bewahren. Aber ich mach mir große Sorgen und wir müssen handeln. Alle Bürgerinnen und Bürger und auch alle politisch Verantwortlichen müssen jetzt stärker auf die Ratschläge, zum Beispiel des Europäischen Seuchenbekämpfungszentrums (ECDC) und des Robert- Koch-Instituts hören. Und dort ist ganz klar formuliert: Zusammenkünfte von Menschen ohne Maske, Abstand und adäquate Belüftung sind Treiber des Infektionsgeschehens. Wir sollten uns, wann immer möglich, nicht mit mehr als zehn Leuten treffen, jedenfalls dann, wenn Abstand, Maske und Lüftung nicht möglich sind. Und am besten sollten die zehn Leute nicht aus mehr als zwei Haushalten kommen. Das heißt übersetzt, dass wir auch die Gastronomie nicht mehr so wie bisher weiterlaufen lassen können, denn beim Essen und Trinken hat man ja definitionsgemäß keine Maske auf. Auch für Betriebe gilt, dass Zusammenkünfte entweder mit Maske, Abstand und Belüftung stattfinden oder gar nicht.

Es ist nach wie vor ein wichtiges Ziel, das wirtschaftliche Leben am Laufen zu halten und Kindern eine gute Bildung zu ermöglichen. Bei kleineren Kindern bis 10 Jahren scheint auch mittlerweile erwiesen, dass sie kaum zum Infektionsgeschehen beitragen. Bei größeren Kindern in weiterführenden Schulen ist dies aber anders und die entsprechenden Empfehlungen des Robert Koch Instituts werden leider von vielen Bundesländern ignoriert. Eine Maskenpflicht in allen weiterführenden Schulen ist das Mindeste, wenn wir weitere Schulschließungen verhindern wollen.“
Liese warnte davor, die steigenden Infektionszahlen zu verharmlosen. „Wir haben mittlerweile in fast allen europäischen Ländern, auch in Deutschland, Rekordzahlen bei den Neuinfizierten. Es ist zwar richtig, dass wir die Infektionszahlen nicht eins zu eins mit denen vom Frühjahr gleichsetzen dürfen, da wir wahrscheinlich eine geringere Dunkelziffer haben und die Behandlung sich etwas verbessert hat. Trotzdem sterben viele Menschen am Coronavirus und viele Intensivbetten in Europa sind schon belegt. Auch in Deutschland verdoppelt sich die Zahl der Intensivpatienten alle 14 Tage und wenn das so weitergeht, ist eher wahrscheinlich als ausgeschlossen dass unsere Kapazitäten bald erschöpft sind. Es ist auch eher wahrscheinlich als ausgeschlossen, dass wir bis Weihnachten regelmäßig über 100 Coronatote im Schnitt haben werden. Der Blick auf die leeren Intensivbetten ist irreführend, denn ein Intensivbett nützt nichts, wenn man keine fachkompetente Pflegekraft zur Verfügung hat. Die Versorgung von beatmungspflichtigen Corona-Patienten kann weder der Hausmeister, noch Christian Lindner durchführen und Intensivpflegekräfte waren schon vor Corona knapp. Experten, wie der Leiter der Intensivmedizin am Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf, Professor Dr. med. Stefan Kluge, warnen zurecht davor, dass die Versorgung anderer Patienten gefährdet ist. Unabhängig von den Zahlen halte ich es für richtig, auf Feiern zu verzichten, sein Essen beim Restaurant abzuholen oder draußen zu essen und auch sein Bier draußen zu trinken, wenn man damit Menschenleben retten kann.“
Optimistisch zeigte sich Liese bei der Frage der Impfstoffentwicklung. „Nach vielen Gesprächen mit Zulassungsbehörden, unabhängigen Experten und der Industrie bin ich davon überzeugt, dass wir Ende diesen Jahres, spätestens Anfang nächsten Jahres einen oder mehrere zugelassene Impfstoffe haben und dass wir zig Millionen von Deutschen im Frühjahr impfen können. Die klinischen Prüfungen der Phase 3 laufen sehr gut und die Europäische Arzneimittelagentur hat das Zulassungsverfahren ohne Abstriche bei der Sicherheit maximal beschleunigt. Die Europäische Kommission hat bereits mit drei Impfstoffherstellern (Johnson&Johnson, AstraZenecha und Sanofi-GSK) Verträge über die Lieferung an EU-Bürger abgeschlossen und mit 3 weiteren Unternehmen (Curevac, Biontech-Pfizer und Moderna) grundsätzliche Vereinbarungen erzielt. Ein Impfstoff wird das Leben nicht von heute auf morgen normalisieren, aber wenn medizinisches Personal und Risikopersonen zum großen Teil geimpft sind, können wir gemeinsam mit anderen Faktoren im Frühjahr eine wirkliche Entspannung der Situation erwarten. Wir müssen bis dahin die Zähne zusammenbeißen und klug handeln, dann werden wir hoffentlich nicht zu viel zu bereuen haben“, so Liese.