Die Diskussion über die Impfstoffversorgung in der Europäischen Union ist verständlich aber die Kritik an der Europäischen Kommission ist unmäßig und zu einem großen Teil nicht gerechtfertigt. Vor allen Dingen ist die Diskussion rückwärtsgerichtet und nicht lösungsorientiert. Wichtig ist jetzt, das richtige zu tun, damit in den nächsten Monaten so viele Menschen wie möglich in Deutschland, Europa und weltweit geimpft werden können. Dazu sind folgende Schritte notwendig und zum Teil bereits eingeleitet:

  1. Man kann 20 Prozent mehr Impfstoff durch die Nutzung von speziellen Spritzen bekommen. BioNTech hatte diese Nutzung, mit der man aus einer Ampulle sechs statt fünf Impfstoffdosen bekommen kann, zunächst nicht beantragt. Nun ist sie beantragt und wird zeitnah von der Europäischen Arzneimittelagentur (EMA) genehmigt. Wenn die Verantwortlichen vor Ort es schaffen, diese Spritzen, die eigentlich leicht verfügbar sind, kurzfristig in den Impfzentren und für die Impfteams zur Verfügung zu stellen, kann schon in den nächsten Tagen die Zahl der Geimpften um 20 Prozent gegenüber den ursprünglichen Plänen gesteigert werden.

    ERLEDIGT
  2. Die Europäische Union hat die Option auf 100 Millionen zusätzliche Impfstoffdosen von BioNTech/Pfizer realisiert. 50 Prozent davon werden in der ersten Jahreshälfte geliefert. Die Kommission verhandelt über weitere 50 Millionen Dosen.

    Die Kommission hat diese Forderung übererfüllt und jetzt insgesamt 600 Millionen Dosen bestellt. Wichtig ist, dass ein großer Teil davon schon in der ersten Jahreshälfte zur Verfügung gestellt wird.

  3. BioNTech plant im Februar ein Werk in Marburg in Betrieb zu nehmen. Laut BioNTech lag zunächst keine Genehmigung der hessischen Behörden und der Behörden vor Ort vor. Nach Aussage der hessischen Ministerin Petra Hinz, liegt die Genehmigung der Bezirksregierung Gießen mittlerweile vor. Die Baugenehmigung der Stadt Marburg liegt ebenfalls vor. Nach Aussagen von Sean Marett (Vorstandsmitglied von BioNTech) können bei Inbetriebnahme des Werks in Marburg 50 Millionen Dosen, die bisher für die EU erst nach dem Sommer zur Lieferung anstanden, auf vor den Sommer vorgezogen werden.

  4. Der Impfstoff von Moderna, der ähnlich wirksam ist wie der von BioNTech, aber weniger anspruchsvoll bei der Lagerung, sollte von der Europäischen Kommission so schnell wie möglich zugelassen werden. Die EU hat 160 Millionen Impfdosen davon bestellt und dieser Vertrag kann schon in den nächsten Tagen zu zusätzlichen Lieferungen an Deutschland und die anderen EU-Staaten führen. Dies ist pro Kopf der Bevölkerung 3mal mehr als für Großbritannien.

    ERLEDIGT
  5. Die beiden deutschen Firmen BioNTech und CureVac sollten so intensiv wie möglich zusammenarbeiten. Eine Produktion eines mRNA Impfstoffs durch ein Unternehmen, das bisher nicht damit gearbeitet hat, ist kurzfristig schwer darstellbar. CureVac verfügt aber über das notwendige Know-how. Franz-Werner Haas, CEO von CureVac hat mir letzte Woche zugesagt, dass für den Fall das der CureVac Impfstoff nicht erfolgreich die dritte Phase der klinischen Prüfungen bestehen sollte, die Firma bereit ist, den BioNTech-Impfstoff zu produzieren.  Ich habe dies gestern Vormittag auch mit einem Vertreter von BioNTech besprochen. Eine Umstellung dauert allerdings auch in diesem Fall Monate und ist zum jetzigen Zeitpunkt ist es nicht ratsam. Es steht zum Beispiel die Frage im Raum, welcher Impfstoff besser vor Ansteckung Anderer schützt und welcher Impfstoff langfristig längere Immunität sichert. Deswegen ist es wichtig, dass CureVac die klinischen Prüfungen fortführt. Der Impfstoff von CureVac beruht auf der gleichen Technologie, wie der, von BioNTech und Moderna. Es besteht Grund zur Annahme, dass er ähnlich gut funktioniert. CureVac sollte in der Debatte stärker berücksichtigt werden. Es besteht die berechtigte Chance, dass CureVac im Frühjahr einen erheblichen Beitrag zur Bekämpfung der Pandemie in Deutschland, Europa und der Welt leisten kann. CureVac beginnt kurzfristig mit der Produktion des Impfstoffs im großen Stil und hat bereits mit den klinischen Prüfungen der Phase 3 begonnen. Eine Zulassung ist in den nächsten Monaten, frühestens im März, wahrscheinlich aber im April/Mai realistisch. Daher sollte dieses Projekt weiter massiv unterstützt werden. Die EU hat 405 Millionen Dosen bestellt.

  6. Ebenso wie CureVac sollte das Projekt von Johnson&Johnson weiter unterstützt werden. Johnson&Johnson rechnet ebenfalls im Frühjahr mit einer Zulassung und die EU wird 400 Millionen Dosen bekommen.

  7. Mit dem Impfstoff von Sanofi scheint es ein Problem zu geben. Die Immunantwort bei Risikopersonen ist in ersten Studien nicht ausreichend. Er kann aber eine Alternative für jüngere Personen darstellen. Sowohl der SPD-Gesundheitspolitiker Karl Lauterbach als auch ich sind mit Sanofi im Gespräch, damit die Firma ihre Strategie umstellt und sich auf den Schutz Jüngerer konzentriert. Nach unserer Einschätzung ist die derzeitige Planung von Sanofi nicht hilfreich. Sie wollen den Impfstoff im letzten Quartal 2021 zulassen, dann sollte keiner der Risikopersonen in Europa noch auf einen Impfstoff warten.

  8. Eine der wichtigsten, aber auch zugleich schwierigsten Fragen ist die, wie man mit dem Impfstoff von AstraZeneca umgeht. Dieser Impfstoff beruht auf einer bewährten Technologie (Vektorimpfstoff) und es sind bereits verschiedene Impfstoffe, die auf dieser Technologie basieren und gegen andere Viren schützen, zugelassen. Leider ist die Schutzwirkung des AstraZeneca Impfstoffs, gerade bei älteren Personen aber nicht so hoch wie im Fall von BioNTech und Moderna. Deshalb gibt es berechtigte Bedenken, diesen Impfstoff an Risikopersonen zu verabreichen. Die Wirksamkeit bei Risikopersonen scheint nicht ausreichend zu sein. Bei Jüngeren ist sie aber durchaus beachtlich.
    Ein weiteres Problem besteht darin, dass AstraZeneca aus Versehen einem Teil der Studienteilnehmer nur die halbe Dosis gegeben hat. Dies stärkt sicher nicht das Vertrauen in diesen Hersteller. Überraschenderweise haben die Probanden, die eine halbe Dosis erhalten haben allerdings eine bessere Schutzwirkung gehabt als diejenigen, die eine ganze Impfdosis erhalten haben. Unter normalen Umständen ist eine klinische Prüfung, die nicht korrekt durchgeführt wurde, keine Basis für eine Zulassung. Es ist aber gerechtfertigt, in diesen Fällen eine Ausnahme zu machen. Man muss die Zulassung aber sehr klar auf die Bevölkerungsgruppen begrenzen, bei denen in einer klinischen Prüfung eine gute Schutzwirkung erzielt wurde. Außerdem muss man gewährleisten, dass diejenigen, die vorziehen zu warten, anstatt mit dem „weniger wirksamen“ Impfstoff geimpft zu werden, diese Option haben. In der jetzigen Situation ist es aber sicherlich vertretbar, eine Zulassung des AstraZeneca Impfstoffs in engen Grenzen durchzuführen. Alle Beteiligten arbeiten intensiv an dieser Option.

  9. Sobald die Impfungen in Deutschland in geordneten Bahnen vonstatten gehen und absehbar ist, dass für jeden Bürger Deutschlands der sich impfen lassen will, die Möglichkeit besteht sich auch impfen zu lassen, sollte das Augenmerk wieder stärker auf Drittstaaten gelegt werden. Eine Pandemie kann nur erfolgreich bekämpft werden, wenn auch unsere Nachbarn, zum Beispiel auf dem westlichen Balkan und die Menschen in anderen Teilen der Welt ausreichend mit Impfstoff versorgt werden. In Gegensatz zu anderen Ländern wie den USA engagiert sich die Europäische Union sehr stark an dieser Stelle.

  10. Ganz entscheidend ist in den nächsten Monaten in praktisch allen Ländern der Welt, inklusive USA und Großbritannien, weiter die bewährten Maßnahmen gegen das Coronavirus einzusetzen. Das heißt auch, dass wir in Deutschland das übernehmen müssen, was sich in anderen Ländern bewährt hat. Eine Verlängerung des Lockdowns ist wahrscheinlich unumgänglich, aber wir müssen so schnell wie möglich die Schulen wieder öffnen, dann aber mit viel besseren Konzepten als vor den Weihnachtsferien. Zusätzlich zu dem, was bisher beschlossen wurde, hat sich in anderen Ländern folgendes bewährt: Eine Pflicht zum Homeoffice wann immer möglich, eine Vorgabe, dass in öffentlichen Transportmitteln nur 25% der Plätze besetzt werden und eine Vorgabe, dass private Treffen außerhalb geschlossener Räume eher erlaubt sind, als innerhalb geschlossener Räume. Die wissenschaftliche Erkenntnis, dass sich das Virus innerhalb geschlossener Räume 18-mal stärker vermehrt als außerhalb, ist in Deutschland noch nicht ausreichend umgesetzt worden.