Statt Schuldzuweisungen anpacken und Problem lösen / Europäische Kommission und Novavax verhandeln über Vertrag


„Ich verstehe sehr gut, wenn man frustriert ist, dass es mit dem Impfen nicht schneller geht. Was aber aus meiner Sicht nicht in Ordnung ist, ist wenn Deutschland sich immer mit den Ländern vergleicht, wo es schneller geht und dabei völlig ausgeblendet wird, dass es auch reiche Industrienationen gibt, in denen es langsamer geht. Ein gutes Beispiel ist Kanada, auch weil das Land genauso leidet wie wir. Kanada ist vom Umbau des Pfizer-Werks in Belgien betroffen, weil sie den Impfstoff nicht aus den USA bekommen, denn Donald Trump hat festgelegt, dass nichts exportiert wird und Joe Biden hat es leider nicht geändert. Kanada hat zwar früher und mehr bestellt als die EU, liegt aber bei der Impfquote bei 0,4%. Die Tabelle zeigt die Quote der Menschen, die vollständig geimpft sind, d.h. auch die zweite Dosis erhalten haben. Wie man dort sehen kann, liegen EU-Ländern wie Italien und Deutschland knapp vor Großbritannien. Großbritannien verfolgt nämlich eine durchaus riskante Impfstrategie. Sie impfen zunächst viele Menschen nur einmal (auch mit dem BioNTech/Pfizer Impfstoff), obwohl das von der Zulassung nicht abgedeckt ist. Das kann im schlimmsten Falle dazu führen, dass neue gefährliche Mutationen entstehen. Daher hat die deutsche Ständige Impfkommission davon abgeraten. Länder wie Kanada, Singapur, Schweiz, Türkei stehen deutlich schlechter da als Deutschland. Nun kann ich jeden verstehen, der sagt, es hilft mir nichts, wenn ich auf Länder wie Kanada und die Schweiz schaue, ich möchte trotzdem den Impfstoff erhalten. Es hilft aber leider auch nichts, wenn man nur auf Israel1 und die USA2 schaut. Wir müssen jetzt alle anpacken, damit es in Deutschland und Europa so schnell wie möglich, aber auch so sicher wie möglich vorangeht.  Dies erklärte der gesundheitspolitische Sprecher der größten Fraktion im Europäischen Parlament (EVP-Christdemokraten), Dr. med. Peter Liese angesichts der Debatte um die Impfstoffversorgung.

Er machte dazu drei konkrete Vorschläge:

„Erstens, muss der Vertrag zwischen der Europäischen Kommission und der Firma Novavax schnell unterzeichnet werden. Es ist eine sehr gute Nachricht, dass wir bald einen weiteren sehr wirksamen, hochwertigen Impfstoff für die EU-Bürger zur Verfügung haben werden. Das kann ich sagen, nachdem ich mit Vertretern der Firma und der Europäischen Kommission gesprochen habe. Novavax hat letzte Woche die Ergebnisse ihrer klinischen Studie veröffentlicht, mit sehr ermutigende Ergebnissen. In ihrer britischen Studie waren 89 Prozent der Probanden vor einer Infektion mit Covid-19 geschützt. Mir haben sowohl Kommission als auch Firma bestätigt, dass sich die beiden Partner nach einer vorläufigen Einigung im Dezember nun in der Endphase der Verhandlungen befinden. Ein Vertreter von Novavax sagte mir wörtlich, dass sie die Gelegenheit zu einem kontinuierlichen Dialog mit der Europäischen Kommission zu schätzen wissen.  Sie stimmen mit der Kommission in den gemeinsamen Zielen überein, den Europäern einen weiteren sicheren und wirksamen Impfstoff zur Verfügung zu stellen, sobald die klinischen Studien und die behördliche Prüfung abgeschlossen sind, und sie schätzen die anhaltende Unterstützung der Kommission. Sie sagten auch, dass sie froh sind, in den Prozess involviert zu sein, da er effizient ist und es ihnen ermöglicht, potenziell bis zu 27 Mitgliedsstaaten durch eine Einheit zu involvieren, was sehr hilfreich ist. Sorgen bereitet mir die Tatsache, dass der Impfstoff offensichtlich nicht so gut gegen die Mutation aus Südafrika schützt. Die Ergebnisse aus Südafrika sind nicht schlecht, aber nicht ganz so gut. Deshalb müssen wir alle mit dieser Mutation vorsichtig sein und versuchen, die Ausbreitung so gut wie möglich zu vermeiden.

Zweitens, es muss weiterhin Druck auf AstraZeneca ausgeübt werden. „Diese Firma behandelt die Bürger der EU nicht fair. Es ist ein wichtiger Schritt, dass AstraZeneca schon in den nächsten Tagen mit der Lieferung beginnt und im Februar drei Lieferungen statt einer Lieferung vorsieht. Der Druck hat also gewirkt, aber AstraZeneca muss sich weiter anstrengen, damit das Ansehen in der EU und weltweit nicht stärker leidet. Es ist kein Wunder, dass bei dieser Firma nach der Zulassung in der EU der Aktienkurs gefallen ist, während er sonst in solchen Fällen immer steigt.

Drittens, wir müssen jetzt schon daran arbeiten, dass wir Impfstoffe haben, die auch funktionieren, wenn die Mutationen aus Südafrika und Brasilien sich weiterverbreiten. Die EU Kommission ist auf einem guten Weg und alle müssen das Ziel nach Kräften unterstützen. Kurzfristig helfen aber nur strenge Maßnahmen gegen die Mutationen. Das Virus interessiert sich nicht dafür, ob wir auf irgendjemanden sauer sind oder irgendjemandem die Schuld geben. Es spring über, wenn wir uns insbesondere in geschlossenen Räumen zu nahekommen. Deswegen ist es weiter notwendig, Videokonferenzen statt persönlicher Treffen durchzuführen und wann immer es möglich ist, sich privat draußen anstatt drinnen zu treffen. Die Maßnahmen der Mitgliedstaaten und das persönliche Verhalten der Menschen respektiert immer noch nicht die Tatsache, dass sich das Virus ca. 20-mal leichter in geschlossenen Räumen als draußen verbreitet. Außerdem müssen die Kontrollen für Einreisende verstärkt werden. Im Zweifel müssen weitere Flüge aus Risikogebieten komplett gestrichen werden“, so Liese.

 

Aber wie ist die schnelle Impfgeschwindigkeit in Israel zu erklären? Israel ist mit Abstand das Land, das die meisten Menschen geimpft hat. Der Vergleich mit Israel ist unfair. Ich habe letzten Monat mit den Leitern der Israelischen Impfkampagne gesprochen und sie haben wörtlich erklärt, dass es nicht möglich wäre für die EU, die USA, oder ein anderes Land die Strategie Israels anzuwenden. Es geht hier nicht um die Frage, dass Israel früher bestellt hat und mehr bezahlt, sondern dass es einen maßgeschneiderten Vertrag gab, über den selbst BioNTech keine Auskunft geben kann. So wünschenswert es ist, dass alle so schnell geimpft werden wie in Israel: es ist einfach völlig unrealistisch für jedes andere Land. Entscheidend ist wohl, dass Israel sich bereits erklärt hat, die medizinischen Daten aller Geimpften (in anonymisierter Form) der Firma Pfizer zur Verfügung zu stellen. Ein solcher Deal wurde keinem anderen Land der Welt angeboten.

2  Die USA sind aus drei Gründen besonders schnell beim Impfen. Erstens, haben sie eine Notfallzulassung gemacht und konnten dadurch schneller beginnen. Die Notfallzulassung bedingt aber auch, dass der Hersteller auch bei eigenen Fehlern nicht haftet. Zweitens hat Donald Trump ein Exportverbot verhängt und drittens gibt es in den USA die sogenannte BARDA, eine Institution, die schon George W. Bush gründet hat und die unkompliziert große Mengen Geld mobilisieren kann. Letzteres sollten wir in der EU übernehmen, die anderen beiden Dinge sicher nicht.