Jetzt schon Impfstoffe der zweiten Generation vorbereiten und so schnell wie möglich die ganze Welt impfen / Kommission soll konkrete Verhandlungen mit Hersteller von Sputnik führen, um Klarheit zu schaffen
 

„Die Anzahl der Intensivpatienten in Deutschland steigt besorgniserregend, wir müssen dringend gegensteuern.“ Dies erklärte der gesundheitspolitische Sprecher der größten Fraktion im Europäischen Parlament Dr. med. Peter Liese (EVP, Christdemokraten) am Donnerstag. „Wir müssen intelligent vorgehen und Risikokontakte reduzieren, damit die Inzidenz so schnell wie möglich sinkt, am besten unter 50, erst dann sind gezielte Öffnungen möglich. Wir müssen uns dabei stärker als bisher auf die Bereiche konzentrieren in denen die meisten Infektionen stattfinden, das heißt private Begegnungen in geschlossenen Räumen und die Arbeitsplätze. Die Schulen sollten, soweit es geht, nicht komplett geschlossen werden, aber die Konzepte müssen deutlich intelligenter werden als bisher“, so Liese. „Vor allem aber müssen wir das Impftempo in Deutschland und der Europäischen Union beschleunigen. Ich bin optimistisch, dass es in den nächsten Wochen besser wird, da insbesondere BioNTech/Pfizer durch das neue Werk in Marburg, das jetzt bald auf Volllast läuft, deutlich mehr liefern kann und uns in wenigen Tagen auch der Impfstoff von Johnson&Johnson zu Verfügung steht, mit dem wir nur einmal impfen müssen. Trotzdem muss es aus meiner Sicht schneller gehen, ich schlage daher folgende fünf konkreten Punkte vor:

  1. Soweit technisch umsetzbar, muss jedem Impfwilligen vorab ein Antikörpertest angeboten werden. Nach wissenschaftlichen Erkenntnissen ist jemand, der die Krankheit durchgemacht hat, im Zweifel auch ohne Symptome und ohne einen positiven PCR-Test, ähnlich gut geschützt wie Geimpfte. Es wäre daher wichtig den Impfstoff denjenigen zur Verfügung zu stellen die keine Antikörper haben. Außerdem gibt es zumindest die Vermutung, dass die schweren Nebenwirkungen bei AstraZeneca einen Zusammenhang mit einer durchgemachten Infektion haben. Es ist daher extrem wichtig, dass der Kommissionsvorschlag zum Grünen Zertifikat angepasst wird und ein positiver Antikörpertest ebenso aufgenommen wird wie eine Impfung.
  2. Wir sollten aus den Erfahrungen in Großbritannien lernen und zunächst so viele Menschen wie möglich einmal impfen. Die zweite Impfung sollte weder bevorratet werden, noch sollte man streng auf den Abstand zwischen den beiden Impfungen achten. Die maximale Schutzwirkung erzielt man dadurch, dass man die Impfstoffe so schnell wie möglich an so viele Menschen wie möglich verimpft.

  3. Auch wenn es offiziell bedauerlicherweise immer noch nicht geklärt ist, sollte man pragmatisch handeln und wann immer möglich aus einer Ampulle BioNTech sieben Dosen nutzen und aus einer Ampulle Moderna elf Dosen.

  4. Die Europäische Kommission muss sofort konkrete Verhandlungen über die Lieferung des russischen Impfstoffs Sputnik aufnehmen. Ich bin sehr dafür, dass die Europäische Arzneimittel-Agentur den Impfstoff sorgfältig prüft und die Notfallzulassungen, wie sie einige europäischen Länder durchgeführt haben, schaffen kein Vertrauen. Ich halte es aber für möglich und mittlerweile sogar für wahrscheinlich, dass das Ergebnis der Prüfung positiv sein wird, deshalb sollte die Europäische Union darauf vorbereitet sein. Russland liegt beim Impfen hinter der Europäischen Union und die Russen haben aufgrund des nicht seriösen Verfahrens selber kein Vertrauen in den Impfstoff. Wenn die EMA ihn aber zugelassen hat, sollten wir ihn nutzen. Es macht keinen Sinn, aus Russland Öl, Gas und Wodka zu importieren, aber einen von der EMA für gut befundenen Impfstoff nicht zu importieren. Die nationalen und regionalen Initiativen sind nicht hilfreich, aber sinnvollerweise sollten sie nicht ersatzlos gestrichen werden sondern in einer europäischen Initiative münden. Wenn Russland substantiell vor Ende des Sommers liefern kann, sollte man den Impfstoff nutzen, insbesondere, weil Komplikationen bei den bestehenden Impfstofflieferanten niemals völlig ausgeschlossen werden können.  
    5.    Die Exportbeschränkungen, die die EU Kommission kürzlich erlassen hat, müssen konsequent umgesetzt werden. Ein großes Problem bei der europäischen Impfstrategie ist, dass wir im Gegensatz zu den USA und Großbritannien sehr viel Impfstoff exportieren. Es war ein Fehler, den Exportkontrollmechanismus erst nach Anlaufen der Impfkampagne in Kraft zu setzen. In den ersten Wochen hat viel Impfstoff den europäischen Kontinent verlassen, was zur Knappheit in den letzten Wochen beigetragen hat.

Liese wies darauf hin, dass das Europäische Parlament noch im April zwei wichtige Initiativen zur Impfstoffpolitik im Gesetzgebungsverfahren annehmen wird. Es geht zum einen um das Grüne Zertifikat, das Bürgerinnen und Bürgern ab dem 1.06. ermöglichen soll, von Freiheiten zu profitieren, wenn sie entweder geimpft oder negativ getestet sind oder wenn sie eine Infektion überstanden haben. Zum zweiten geht es um die Vorbereitung der nächsten Generation der Impfstoffe. „Wir müssen jetzt schon handeln, um auf eine weite Verbreitung der südafrikanischen und brasilianischen Mutation vorbereitet zu sein. Es ist auch durchaus wahrscheinlich, dass zusätzliche gefährliche Mutationen entstehen, bei denen die jetzigen Impfstoffe nicht mehr oder nicht mehr so gut wirken. Deswegen ist es gut, dass die EU Kommission ihren HERA Incubator vorgeschlagen hat. Im Rahmen dieses Vorschlags wird das EU Parlament noch im April eine so genannte „early non-objection“ annehmen. Wir werden einen delegierten Rechtsakt unterstützen, der vorsieht, im Fall der Anpassungen der Impfstoffe ein beschleunigtes Verfahren zu verwenden. Der Rat hat dies gestern ebenfalls schon beschlossen. Zugelassene Impfstoffe, die nur verwendet werden, um gegen neue Varianten des Virus besser zu wirken, können so schneller angepasst werden.

Es ist extrem wichtig, dass wir dies in Europa tun, wir müssen aber, sobald die Impfkampagne in Europa besser läuft und das wird in den nächsten Wochen der Fall sein, viel stärker das Augenmerk auf Drittländer richten. Die Entstehung von gefährlichen Mutationen kann nur verhindert werden, wenn weltweit allen Menschen ein Impfangebot gemacht wird. Vor allem aber ist es ein humanitäres Gebot, den Menschen in ärmeren Ländern, die viel weniger Möglichkeiten haben, sich vor dem Virus zu schützen, zu helfen“, so Liese.